26.2.2021

Wie Selbstlosigkeit einer erfüllten Partnerschaft im Weg stehen kann

Altruismus, oder umgangssprachlich Selbstlosigkeit, werden in unserer Gesellschaft als sehr wichtig geschätzt. Sie werden gesehen, als der Stoff, der unsere Welt zusammenhält. Und da stelle ich jetzt die Frage, ob Selbstlosigkeit im Weg zu einer erfüllten Beziehung mit deinem Partner sein kann? Ja, absolut. Lass mich dir dazu eine Geschichte erzählen:

Vielleicht kennst du das auch. Meistens machst du das Frühstück, weil du morgens einfach besser aus dem Bett kommst, als dein Partner und du eh früher aufstehen musst. Heute kannst du ausschlafen, während dein Partner arbeitet. Vielleicht gehen dir, während du die Wärme des Bettes genießt, folgende Gedanken durch den Kopf: »Ja, heute mal ein bisschen länger im Bett bleiben, einfach weil es gemütlich und genüsslich ist - wie schön! Ah, herrlich. Aber warte, ich bin ja eigentlich schon wach, könnte doch  aufstehen und meinem Partner das Frühstück machen. Ich kann mich ja danach noch Mal hinlegen, er/sie hingegen kann das nicht.«

Bedeutet Liebe denn nicht, sich für den anderen zurückzustellen?

Das ist doch aber schön, zeigt sich darin nicht deine Liebe für deinen Partner? Vielleicht ja, vielleicht aber auch nicht. Ob etwas für uns gut oder eher hinderlich ist, lässt sich nicht an dem festmachen, was wir tun, sondern lediglich an der Motivation, warum wir etwas tun. Zurück zur morgendlichen Situation: So langsam fängst du an, deine Zeit im Bett nicht mehr so zu genießen, weil du immer mehr das Gefühl bekommst, es wäre doch eigentlich wirklich nett, wenn du etwas für den anderen tun würdest. Sei doch nicht so egoistisch, denkst du dir vielleicht. Und außerdem wird er/sie sich sicherlich freuen.Bekommst du schon ein Gefühl dafür, dass die Situation komplexer wird? Jedenfalls stehst du auf, deinen wehmütigen Blick auf's Bett wischst du weg, weil du machst ja etwas Gutes, machst einem anderen eine Freude!Als dein Partner aus dem Bad kommt und du ihm/ihr freudig das Frühstück präsentierst bekommst du zu hören: »Was machst du den schon auf, du kannst doch heute länger im Bett bleiben?« Wie, kein Dank, sondern die Frage, was ich hier mache? Unglaublich, denkst du dir, da mache ich ihm/ihr schon eine Freude, stehe extra für ihn/sie früher auf und dann das, statt sich bei mir zu bedanken. Ich glaube, du kannst dir gut vorstellen, wie es von diese Punkt aus eventuell noch zu einer morgendlichen Auseinandersetzung kommen könnte.

Was, wenn du der wichtigste Mensch in deinem Leben bist?

Was also ist geschehen und was meine ich denn nun bitte, dass Selbstlosigkeit im Weg zu erfüllter Partnerschaft stehen kann? Du bist aufgestanden und zwar in diesem Fall, weil du ein schlechtes Gewissen hattest, dich zu verwöhnen, einfach liegen zu bleiben, während der andere das im Moment gerade nicht kann. Wenn du deinem warmen, gemütlichen, dich selbst wohlig verwöhnenden Gefühl nachgegangen wärest, dann hättest du dich ja einfach nur um dich gekümmert. Halt, Stopp »einfach nur um dich gekümmert« - das ist nicht einfach nur, weil DU bist ja auch nicht einfach nur irgendwer. Du bist der wichtigste Mensch in deinem Leben! - Waaas? - Ja, bist du. - Ein totaler Egoist, der nie was für andere macht, oder wie? - Nein, einfach nur der wichtigste Mensch in deinem Leben! - Spür mal hin, wie fühlt sich das für dich an, wenn du dir das einmal sagst? Aber wenn du dich nicht um dich kümmerst, wenn du nicht dafür sorgst, dass deine Batterien aufgeladen sind, dann kannst du auch nicht aus Liebe und Selbstverantwortung und mit Freude etwas für andere tun.

Können wir überhaupt jemals »selbstlos« handeln - wenn wir es doch selber sind, die handeln?

Und: wenn du andere Menschen, deinen Partner, wichtiger machst als dich selber und »selbstlos« bist, die Bedürfnisse deiner selbst hintanstellst, um für andere da zu sein, dann bist du noch lange nicht selbstlos! Das geht nämlich gar nicht. Wer, wenn nicht du selbst macht denn die »gute Tat«? Und, mal ganz ehrlich, was ist dein Gewinn daraus, »selbstlos« zu sein? Vielleicht gibt es dir das Gefühl, ein guter Mensch zu sein, die Dinge richtig zu machen … Und vielleicht erhoffst du dir dadurch auch, dass andere dich mögen, dich loben, dir sagen, wie toll es ist, dich in ihrer Nähe zu haben? All das ist nicht verkehrt oder verwerflich. Aber die Krux ist, dass du vielleicht um so mehr erwartest (unbewusst natürlich), dass dein Partner dir dankbar ist, wenn du doch schon deine Bedürfnisse hintangestellt hast. Und dann brauchst du seinen Dank, seine Anerkennung, als Ausgleich für deine vermeintliche Aufopferung der gemütlichen Zeit im Bett.

Das heißt nicht, dass du dich nicht entscheiden kannst aufzustehen und deinem Partner das Frühstück zu machen, aber ich lade dich ein, es in vollem Bewusstsein zu machen, dass du es machst, weil du dich damit gut fühlst und weil du es magst ihm/ihr eine Freude zu machen. Damit hast du schon Mal eine Grundlage geschaffen, dass du dich mit dir selber gut fühlst. Lass uns noch Mal zurück gehen zur Frage von oben: »Was machst du denn schon auf, du kannst doch heute länger im Bett bleiben?« Und dieses Mal würdest du die Liebe deines Partners in den Worten fühlen, der es gerne sieht, wenn du dir Zeit für dich nimmst und du könntest antworten: »Weißt du, ich hatte so eine Freude dir jetzt das Frühstück zu machen, weil ich weiß, du hast einen anstrengenden Tag vor dir, dass ich schon Mal aufgestanden bin. Ich leg mich nachher wieder hin«.

Dank zu erhalten, wenn wir nicht meinen Anspruch auf Dank zu haben, ist unglaublich erfüllend

Und wahrscheinlich wird sich dein Partner dann von Herzen bei dir bedanken und du wirst diesen Dank von Herzen annehmen können, als Ausdruck eurer gegenseitigen Liebe. Wenn wir "selbstlos" handeln, dann liegt darunter oft die Erwartung und die Anspruchshaltung Dank verdient zu haben. Wenn der dann nicht so kommt, wie wir uns das vorstellen, kann es zu Groll und der Anschuldigung kommen »nie siehst du, was ich alles für dich mache, nie höre ich ein Dankeschön!«.

Langer Rede, kurzer Sinn: ich finde, dass Altruismus ein Mythos ist, weil es ihn nicht braucht, um von Herzen und aus der inneren Fülle heraus etwas für andere zu tun. Aber um dies in dieser Freiheit, mit dieser Fülle tun zu können, dürfen wir uns selbst mal so richtig verdammt wichtig nehmen, auf unsere Bedürfnisse hören. Ich könnte wetten, dass du noch so sehr versuchen könntest, ein fieser, narzisstischer »Egoist« zu werden, dem alle anderen egal sind, dir das aber nicht gelingen würde, also trau dich!