Wie vermeintliche Sackgassen uns weiterführen können
Es ist frustrierend, zutiefst frustrierend und manchmal entmutigend, wenn wir versuchen ein Verhalten von uns zu verändern, etwas Neues zu wagen und es einfach nicht schaffen. Und noch schlimmer ist es, wenn es scheinbar noch nicht Mal große Herausforderungen sind um die es geht, sondern wir uns mit etwas schwer tun, was andere leicht zu schaffen scheinen. DasBeispiel werde ich mich hier größtenteils auf die Herausforderung beziehen für sich einzustehen, Grenzen zu setzen und „Nein“ zu sagen. Aber das Grundprinzip, warum wir mit manchen Veränderungen einfach nicht vorankommen, trifft auch genauso auf andere Herausforderungen oder Situationen zu, in denen wir nicht voran kommen.
Nicht immer haben wir mit allen Personen die gleicheHerausforderung. Manchmal sind wir vielleicht sogar in ganz vielen Situationen sehr gut darin, eine Grenze für uns zu setzen, aber mit unserem Partner, unserer Partnerin oder einerVorgesetzten oder einem bestimmtenFreund schaffen wir es nicht oder nur schwer.
Es ist so wichtig, sich immer wieder daran zu erinnern, dass unsere Wahrnehmung einfach nur unsere Wahrnehmung ist und nicht DIE Wahrheit
An dieser Stelle möchte ich ein kleiner Exkurs zurVerwendung der Worte „scheinbar“ und „scheinen“ im Absatz oben machen – und keine Sorge, es ist keine trockene, theoretische Abhandlung. Es ist keinZufall, dass diese Worte hier zum Einsatz kommen. Denn nur weil es symbolisch gesehen keine Himalaya-Besteigung ist, wenn wir für uns einstehen wollen und uns vor nehmen, auch mal „Nein“ zu sagen, bedeutet das nicht, dass das tatsächlich nur eine Kleinigkeit ist, auch wenn es auf den ersten Blick so aussehen mag. Was, wenn für manche Menschen ein solches „Nein“ genau so herausfordernd wäre, wie die Besteigung des Himalayas?
Und dann gibt es noch das Verb „scheinen“ am Ende des erstenAbsatzes. Wie oft vergleichen wir uns mit anderen Menschen, denken, dass dieFreundin aus der Arbeit immer so selbstbewusst ist und mit solcher Leichtigkeit„Nein“ sagt oder für sich einsteht? Es ist so wichtig sich daran zu erinnern, dass das unser Eindruck ist, dass es so zu sein scheint. Vielleicht fällt es ihr wirklich leicht, aber wissen wir es? Unsere Wahrnehmung ist immer gefärbt, von unserer Meinungen, unserem Erfahrungshintergrund und unserer Art und Weise die Dinge zu deuten. Es kann sein, dass wir damit richtig liegen, aber es muss nicht so sein.
Nun aber wieder zurück zu Mustern, die wir zwar immer wieder versuchen zu ändern oder darunter leiden, dass wir sie haben. Neben derHerausforderung „Nein“ zu sagen und für seine eigenen Bedürfnisse einzustehen, gibt es noch weitere Beispiele. Manche Menschen etwa werden bei bestimmtenPersonen oder in bestimmten Situationen schnell wütend oder beleidigt und gehen dann sofort in die Verteidigung. Wieder andere haben das Gefühl, immer wieder in Situationen zu landen, wo sie mit dem Gesprächspartner aneinander vorbeireden oder nicht wirklich gehört werden. Manchmal haben wir vielleicht schon Bücher gelesen uns bei Freunden Tipps geholt oder auch ein kleinesCoaching gemacht und doch setzen wir es nicht um, kommen nicht in dieVeränderung.
Falls beim Lesen gerade ein Gefühl der Enge spürbar wird, oder eine gewisse Schwere, dann liegt das an dem bisherigen Text: an derBeschreibung der Pattsituation, in der wir uns manchmal im Leben befinden können, dem Gefühl festzustecken, nicht weiter zu kommen. Worte können sich auf unser physisches und psychisches Empfinden auswirken. Und wir haben auch immer die Möglichkeit, vielleicht kurz aufzustehen, einmal tief zu atmen und durchBewegung das Empfinden der Enge abzuschütteln.
Was, wenn wir davon ausgingen, dass eseinen guten Grund dafür gibt, dass wir feststecken?
Schlussendlich geht es jetzt darum neugierig zu sein, vielleicht die Freude an detektivischem Erforschen in sich anzuzapfen und zusehen, ob es vielleicht eine Erklärung und damit auch Lösung für solche Pattsituationen gibt. Die Grundannahme für eine uns selber gegenüber möglichst freundlich eingestellte Erforschung von möglichen Ursachen ist die Tatsache, dass es immer – und ich meine wirklich immer – einen gute Grund dafür gibt, warum wir nicht in die Umsetzung kommen. Irgendwann einmal haben wir etwa gelernt, dass wir Ärger vermeiden können wenn wir hilfsbereit sind oder dass wir von anderen deshalb gemocht werden.
Die Ausgangslage für eine detektivische Erforschung ist das uns bewusste Problem, beispielsweise nicht gut für uns einstehen zu können, oder dass wir immer wieder inSituationen landen, in denen wir finden, dass wir zu unrecht kritisiert werden oder unser Gegenüber uns mal wieder nicht versteht. Und dann gibt es da dieses fast schon mysteriöse Verhalten, dass wir nämlich wider besseren Wissens oder Wollens dann doch wieder „Ja“sagen oder wütend werden und in die Defensive gehen, sobald wir Kritik hören.Das mysteriöse an diesem Verhalten ist, dass wir es uns oft nicht erklären können, warum wir es tun, es sich quasi von selbst tut.
Stress-Reaktion des Nervensystems alsBlockade gegen Veränderung
Was, wenn wir erforschen was wir fühlen würden und welche körperlichen Reaktionen wir hätten, wenn wir wirklich einmal „Nein“ sagen würden? Selbstverständlich würde es uns dann gut gehen – oder? Es macht Sinn, dass wir das denken, aber bei vielen Menschen, die damit ringen, kommt allein bei der expliziten Vorstellung in einer bestimmten Situation eine Grenze zusetzen etwas ganz anderes hoch: Gedanken wie „das darf ich doch nicht“,plötzliches Herzrasen und schwitzende Hände; das Gefühl wie gelähmt zu sein; Verunsicherung und Traurigkeit oder auch Angst davor abgelehnt zu werden.
Diese Gefühle, Gedanken und Empfindungen sind Hinweis auf eine weitere Ebene, die das nicht veränderbare Verhalten mit verursacht und erklärt: die Stress Reaktion des Nervensystems. Bei Menschen, denen es beispielsweise schwerfällt „Nein“ zu sagen und die trotz vieler Versuche es nicht schaffen das zu verändern, agieren in dieser Situation im sogenannten Kampf-, Flucht oder Totstell-Modus. Herzklopfen, seichter Atem, dasGefühl, nicht mehr klar denken zu können sind Anzeichen dafür, dass unserNervensystem im Aufruhr ist und bestimmte Dinge jetzt einfach auf Autopilot laufen.
In engem Zusammenspiel mit der Ebene dieser Stress-Reaktion sind selbstverurteilende odersorgenvoll-ängstliche Gedanken. Das sind Sätze wie „das darf ich nicht“,Angst, dass wir dann nicht mehr gemocht, oder verlassen werden, vielleicht auch noch Verachtung für uns selber, dass wir es wieder nicht geschafft haben undGedanken wie „das schaffe ich doch nie“. All das ist uns oft gar nicht bewusst, aber es sorgt dafür, dass wir in der Stressreaktion bleiben, im Überlebensmodus.
Mit der Veränderung wird unbewusst eine große Gefahr verbunden
Das klingt gemein und fühlt sich auch echt nicht schön an, wenn wir es bewusster wahrnehmen, aber Anteile in uns sind tatsächlich überzeugt, dass etwas schlimmes geschehen könnte, wenn wir beispielsweise„Nein“ sagen. Und die Angst davor, dann abgelehnt oder gar verlassen zu werden triggert automatisch die Stress-Reaktion, weil das vor Urzeiten in unseremGehirn quasi einprogrammierte Schlagwörter sind, die bedeuten, dass es uns wirklich ans Leben geht. Vor langer Zeit war das Überleben des Einzelnen an dieGruppe gekoppelt. Der Ausstoß aus der Gemeinschaft bedeutete mit großerWahrscheinlichkeit den Tod. Die Angst vor Ablehnung hat also auf der Ebene desNervensystems weitaus größere Auswirkungen, als wir gemeinhin denken.
Dazu kommt, dass wir auch in der frühen Kindheit vielleichtErlebnisse hatten, wo wir Momente der Trennung oder Ablehnung erlebt haben. AlsSäuglinge sind abhängig von unserenBezugspersonen und können auch noch nicht mental überbrücken, dass sie sicherlich gleich kommen werden. Deshalb können solche Momente existentielleAngst auslösen. Oft tragen wir solche noch unverarbeiteten Erfahrungen in uns, die dann aber wieder aktiviert werden, wenn wir etwas verändern wollen.
All diese Ebenen dienen dazu, dass wir bestimmte Gefühle nicht mehr fühlen müssen – wirklich schmerzlicheGefühle, Gefühle der Hilflosigkeit, der Angst und auch der Wut. Zu unterschiedlichen Graden verdrängen wir diese rohen Gefühle. Entweder, weil wirAngst haben, sie könnten zu stark werden, oder weil wir sie als „schwach“verurteilen, sie als unangemessen betrachten oder als übertrieben.
Wenn wir uns trauen, bestimmten Gefühlen in uns liebevoll Raum zu geben, so können wir von innen heraus in die Veränderung gehen
Aber genau diese schmerzlichen Gefühle sind es, die die Lösung des Problems sind. Wenn wir uns wagen, dorthin zu schauen, wagen, sie vielleicht in einem geschütztenRahmen zu fühlen, anzuerkennen, das bestimmte Ereignisse schon sehr früh in unserem Leben uns zutiefst geprägt haben, dann ist das der Beginn für Mitgefühl mit uns selber.
Diese vielleicht lange unbewusst gehaltenen oder abgelehntenGefühle stecken in uns fest, bis wir uns ihnen zuwenden. Und weil wir dieseGefühle nicht fühlen wollen, werden wir ganz sicher nicht „Nein“ sagen, wenn jemand uns um Hilfe bittet, weil wenn wir dann abgelehnt werden, dann könnte das diesen ganz, ganz tiefen Schmerz in uns wecken und das wollen wir vermeiden.
Aus dieser Warte macht es doch Sinn, dass wir manchmal feststecken, oder? Aus Sicht unseres Systems ist es gut, dass wir nichts verändern, es geschieht aus Liebe. Das bedeutet, wenn wir nicht in dieUmsetzung kommen, etwas vor uns herschieben, dann liegt das nicht daran, dass wir willensschwach oder unfähig sind.
Es braucht unser Mitgefühl dafür, dass einkleiner Schritt für uns etwas sehr Großes sein kann
Man könnte sogar sagen, dass es Ausdruck von Willensstärke ist. Auf einer unbewussten Ebene setzen wir unseren Willen ein, um unerwünschte Gefühle zu unterdrücken, die aufkommen könnten, wenn wir etwas ändern. Unser Gehirn, die Amygdala, die für unseren Schutz zuständig ist, kann nicht unterscheiden, ob etwas vielleicht geschehen könnte oder nicht, sie geht vomSchlimmsten aus, weil das ein uralter Überlebensmechanismus ist, den wir als Menschheit schon lange in uns tragen.
Hier kommt auch die Macht von Worten oder Vorstellung zumTragen: alleine die Vorstellung, dass wir etwas Ungewohntes tun, kann den Gefahrenknopf in uns aktivieren und wir wundern uns dann, warum wir – obwohl wir es uns doch so fest vorgenommen haben „Nein“ zu sagen – am Ende doch wieder„Ja“ sagen. Wenn wir jetzt, mit diesemWissen daran denken, dass die Veränderung dieses Verhaltens doch scheinbar leicht sei, so wird klar, dass in der uns vielleicht nicht bewussten Realität unseres Seins diese „Kleinigkeit“der Besteigung des Himalya recht nahe kommt.
Blockaden können der Weckruf sein tiefer zugehen und uns so liebevoll es geht nach innen zu wenden
Ist es immer einfach, auf neugierige Forscherreise zu gehen, sich tiefen Gefühlen zu öffnen, die man vielleicht Jahrzehnte versucht hat zu verdrängen? Nein, leicht ist es nicht, aber es gibt Wege, wie wir unserNervensystem regulieren können, wenn wir uns bestimmten Gefühlsschichten öffnen, so dass wir nicht von ihnen überrollt werden und auf dem Weg lernen wir uns selber gegenüber ein Stück freundlicher zu werden. Wir lernen uns besser kennen und verstehen und es wird leichter Dinge zu verändern, weil der Gedanke an die Veränderung jetzt nicht mehr die Stress Reaktion auslöst. Und damit werden wir sicherlich noch aufgeregt sein, wenn wir „Nein“ sagen, vielleicht auch befürchten, dass wir abgelehnt werden. Aber wir können diese Gefühle halten und dadurch, dass wir nicht im Stressmodus sind, können wir auch klarer denken und einen offeneren Blick haben, so dass wir die Reaktion des anderen besser einordnen können.
Wenn wir also merken, dass wir eine Veränderung, ein anderesVerhalten einfach nicht umsetzen können, dann können wir davon ausgehen, das wir unbewusst befürchten, dass durch die Umsetzung der Veränderung etwasSchlimmes geschieht und wir vielleicht tiefen Schmerz fühlen. Die Blockade, so frustrierend sie auch sein mag, ist schlussendlich ein Weckruf, ein Hilferuf, dass etwas in uns gefühlt und gesehen werden, damit unser System in Balance sein kann. Natürlich wird das Lesen dieses Beitrages nicht automatisch dazu führen, dass sich bisherige Blockaden plötzlich lösen. Aber ich hoffe, dass er ein Beitrag zum Verständnis für sich selber war. Wenn wir uns das nächste Mal dabei mitbekommen, dass wir uns dafür verurteilen, etwas mal wieder nichtgeschafft zu haben, vielleicht hilft dann der Gedanke an diesen Artikel.