Warum ein Rückschlag Zeichen für Weiterentwicklung sein kann
Manchmal scheint es wie verhext, gerade ist man mutiger geworden, hat sich getraut klarer zu sich zu stehen, hat ein neues Projekt begonnen – von dem man immer glaubte, man sei ja vielleicht doch noch nicht gut genug, um es zu tun – und vielleicht war man sogar stolz auf sich und dann: Rückschlag. Plötzlich ist die alte Unsicherheit wieder da, oder es verschlägt einem die Sprache in Momenten, in denen man vor kurzem noch mutig etwas gesagt hat. Oder man hat es eine Weile geschafft sich nicht mehr so oft mit anderen zu vergleichen, nicht mehr so oft zu denken, dass andere doch immer alles besser zu können scheinen und plötzlich ist es so, als würden einen diese Vergleichsgedanken wieder geradezu überfallen.
Das kann unendlich frustrierend sein und es kann ganz schnell geschehen, dass wir uns dann dafür verurteilen, uns bestätigt sehen in einem Glaubenssatz, dass wir uns ja doch nicht wirklich verändern können, vielleicht doch nicht genug probiert haben, es vielleicht doch nicht richtig gemacht haben. Und schon stecken wir in einer Abwärtsspirale der Selbstkritik und einem Gefühl des Versagens.
Wenn wir wachsen, gehen wir über unsere bisherige Komfortzone hinaus und das kann Ängste triggern
Warum aber ist ein solcher Rückschlag ein Zeichen für Weiterentwicklung? Immer wenn wir Neues wagen, wenn wir unsere alte Komfortzone ein Stück ausweiten, kann das unbewusste Ängste in uns triggern. Und genau diese oft unbewussten Ängste können dazu führen, dass wir erstmal in alte Muster verfallen. Es mag paradox wirken, denn bewusst wollen wir ja die Veränderung, also warum ein Rückschlag, warum der vermeintliche Rückfall in alte Muster und Unsicherheiten, auch wenn wir uns vorher noch so sehr für Veränderung angestrengt haben?
Tatsächlich ist es so, dass alte Muster, selbst wenn wir sie nicht mögen, sich für Teile in uns besser und sicherer anfühlen, als Veränderung. Veränderung und Wachstum bringen immer Ungewissheit mit sich. Das Altbekannte hingegen ist kontrollierbar und unsere Reaktionswege auf bestimmte Dinge haben sich über die Jahre oder Jahrzehnte zu bequemen Autobahnen ausgeweitet. Ja, auch die Vergleichsautobahn (das automatische sich vergleichen mit anderen) ist in diesem Sinne bequem, denn sie ist altbekannt. Und auch wenn wir uns durch das Vergleichen nicht gut fühlen, so fühlen wir uns doch in unserem nicht so guten Selbstbild von uns bestätigt. Neue Verhaltensweisen und Veränderungen hingegen können wir uns in unserem System wie kleine Trampelpfade vorstellen, die schnell wieder überwuchert werden können und wo man auch nicht bei jedemSchritt so ganz genau sehen kann, wohin man tritt.
Eingroßer Fisch in einem kleinen Teich und ein kleiner Fisch im großen See
Was, wenn wir lernen würden, solche Rückschritte als Zeichen dafür zu sehen, dass wir etwas Neues gewagt haben? Dann würden wir in dem Moment in dem wir bemerken, dass ein altes Muster plötzlich wieder stärker wird, vielleicht als erste Reaktion Ärger verspüren oder automatisch in innere Verurteilung unserer Selbst verfallen. Aber dann, dann würden wir uns daran erinnern, dass genau diese Muster uns zeigen, dass wir tatsächlich etwas verändert haben, dass wir gewachsen sind und somit auf Neuland stehen. Wahrscheinlich denkt so manch einer schon beim Lesen dieser Sätze „Ja, aber …“, denn Ja-Abers sind großartige Rückumleiter auf die gewohnte Autobahn. Aha, also vielleicht noch ein Zeichen dafür, dass da gerade Veränderung stattfindet, womit sich irgendetwas in uns nicht wohl fühlt?
Neuland betreten, Dinge verändern, sich Bedürfnisse eingestehen, die man lange vor sich selbst versteckt hat, all das sind Dinge, die erstmal Unruhe ins System bringen können, auch wenn wir genau diese Veränderungen wollten. Eine schönes Bild für Veränderung und Wachstum ist die Vorstellung eines Fisches, der in einem kleinen See schwimmt, dort alles kennt, sich als König oder Königin eben jenes Sees empfindet und es sich einfach gut eingerichtet hat. Irgendwann wird diesem Fisch aber vielleicht ein bisschen langweilig, vielleicht fängt er an unruhig zu werden und entdeckt, dass ein kleiner Bach aus dem Teich fließt. Er beschließt diesem Bach zu folgen und landet irgendwann in einem ziemlich großen See. Im Bach war noch die Aufregung des Neuen und auch die Bachufer waren immer in angenehmer Nähe. In dem großen See ist das anders, da kann man manchmal gar kein Ufermehr spüren und der Fisch fühlt sich plötzlich furchtbar klein und er bekommt es erstmal mit der Angst zu tun, fühlt sich verloren und wünscht sich in seinen sicheren kleinen Teich zurück.
LiebevollesVerständnis für uns selbst ist wie Dünger für unser Wachstum
Wenn wir so auf diese Geschichte blicken, macht es dann Sinn, dass das Ungewohnte und Neue erstmal Angst machen? Denken wir dann „na klar, man muss sich ja erstmal zurechtfinden in all dem Neuen“? Genauso ist es bei uns. Es ist völlig normal, dass wir es nach ersten Schritten von Veränderung mit der Angst zu tun bekommen (ob bewusst oder unbewusst). Unser Gehirn ist sogar darauf gepolt in neuen Situationen besonders nach Gefahren Ausschau zu halten, um unser Überleben zu sichern. Was wir in dem Moment also brauchen ist Verständnis für uns selbst, die Anerkennung dafür, dass wir etwas Neues gewagt haben und dass wir uns aber noch ein bisschen wie auf wackeligen Beinen fühlen. Vielleicht brauchen wir einfach nur einen Moment, in dem wir uns selber in den Arm nehmen und uns sagen „ja, ichweiß, das war ganz schön mutig was ich gemacht habe und logisch können da jetzt Ängste und vielleicht Widerstände kommen.“
Dazu kann kommen, dass wir zwar bewusst die Veränderung wollen, dass aber ein Anteil in uns, oder ein Muster, das beispielsweise unser Leben lang dafür gesorgt hat, dass wir uns immer erst um andere kümmern, bevor wir zu uns schauen, verstört und vielleicht auch im Widerstand ist, wenn wir einfach so etwas ändern und aus der Warte dieses Anteils etwas unfassbar Egoistisches tun, etwas, das aus dieser Sicht nicht gut ist und vielleicht dazu führt, dass wir abgelehnte werden. Und wenn erstmal dieser Gedanke aufgekommen ist, dann wechselt unser Nervensystem ganz schnell in den Stressmodus, denn aus der Sicht unseres Hirnstammes oder Reptiliengehirns gesehen, ist die Gefahr abgelehnt zu werde gleichbedeutend mit existentieller Gefahr. Ganz wichtig: all diese Reaktionen sind nichts Schlechtes, sondern der Versuch unseres inneren Systems für unsere Sicherheit zu sorgen.
Wir können immer nur als Ganzes weiter wachsen und so geht es auch darum die Widerstände in uns an die Hand zu nehmen, die vielleicht keine Veränderung wollen
Wenn wir wirklich wachsen möchten, wenn wir bildlich gesprochen lernen wollen vom Raupendasein zum Schmetterlingsdasein hin unsere Flügel auszubreiten, dann geht es darum alles von uns mitzunehmen. Dann sollten wir uns auch die Zeit für die Anteile, Gefühle oder Muster nehmen, die nur die ausgefahrene Autobahn kannten. Es geht darum, sie bzw. uns zu ehren für all die Anstrengungen beispielsweise möglichst hilfsbereit zu sein und uns hintan zu stellen, oder immer möglichst auf alles eine Antwort zu haben. Und auch unseren unbewussten Ängsten, die unser Nervensystem in den Stressmodus versetzen, können wir uns zuwenden und voller Mitgefühl für uns selbst verstehen, dass dies lediglich die Reaktion auf Veränderung und unbekanntes Terrain ist.
Wir können nur hinfallen, wenn wir aufgestanden sind
Wenn wir also vermeintlichen Rückschlägen nach Veränderungen und Wachstum in unserem Leben begegnen, geht es also um drei Dinge. Erstens darum, dass wir und in diesen Momenten bewusst machen, dass das kein eindeutiger Beweis dafür ist, dass wir Versager sind, sondern vielmehr ein Beweis dafür ist, dass wir Neuland betreten haben. Zweitens geht es darum, möglichst von einem verständnisvollen und vielleicht sogar liebevollen Platz auf die Situation zu blicken. Und drittens ist es wichtig, dass wir alle Anteile, alle Gefühle mit an Bord nehmen, dass wir Raum haben für Ängste und Widerstände und diese erstmal ehren, bevor wir dann wieder mutig den nächsten Schritt gehen.
Und auch die kritische innere Stimme, die uns vielleicht des Versagens bezichtigt, tut dies, um dafür zu sorgen, dass wir kein unnötiges Risiko eingehen, uns lieber nicht zu weit aus dem Fenster lehnen, uns nicht plötzlich in einem zu großen See verlieren. Ja, diese innere Kritik mag uns heute im Weg stehen, aber sie entstand ursprünglich, um unser Funktionieren und Leben zu gewährleisten, unseren Platz in Familie und Gesellschaft zu sichern.
Ist es ein Versagen, wenn ein Kleinkind nach seinen ersten Schritten hinfällt, oder freuen wir uns unfassbar über jene ersten Schritte und sehen das Hinfallen als ganz normal an? Warum sollten wir als Erwachsene erste Schritte im Neuland sofort ohne Hinfallen meistern können? Wenn das Kind nicht seine ersten Schritte getan hätte, so hätte es auch nicht hinfallen können. Wenn wir etwas verändert haben, dann könnte ja ein Hinfallen, ein vermeintlicher Rückschlag tatsächlich der Beweis für Wachstum und Veränderung sein.