20.8.2025

Selbstmitgefühl statt Selbstmitleid: Vom Opfer zur inneren Stärke

Mitgefühl vs. Mitleid – Liebevoll aufrecht oder leidend versinken

Manchmal ist es gar nicht so einfach, Mitgefühl von Mitleid zu unterscheiden. Und so kann es passieren, dass wir das Kind mit dem Bade ausschütten: Wenn wir die gute Absicht haben, nicht als Opfer zu jammern, uns nicht mit unserer Geschichte oder Traumata herausreden zu wollen, dann verwechseln wir manchmal Mitleid (Selbstmitleid wäre hier die Opferhaltung) mit Mitgefühl – und meinen, stark sein zu müssen und die Geschichte einfach Geschichte sein zu lassen.

„Ich will meine Geschichte nicht nutzen, um als Opfer um Mitleid zu heischen“ – einen solchen oder ähnlichen Satz habe ich schon öfter gehört. Übrigens ist eine Opferhaltung auch nichts, wofür es sich zu schämen gilt. Eine solche Haltung hilft uns zwar nicht dabei, alte Wunden zu integrieren, aber dass wir sie entwickelt haben, hatte irgendwann einmal einen guten Grund. Sie war eine Schutzstrategie, die uns damals gedient hat – auch wenn sie uns heute oft im Weg steht.

Selbst das, was uns heute schwächt, war einst ein Schutz.

Bevor ich tiefer eintauche in den Unterschied zwischen Mitgefühl und Mitleid – und warum wir im einen liebevoll aufrecht Herzensverantwortung übernehmen und im anderen leidend versinken – hier zunächst die Definitionen:

Definition Mitleid

Mitleid ist die starke innere Anteilnahme am Leid eines anderen oder an unserem eigenen, die leicht in ein Mit-leiden kippt: Wir werden vom Schmerz des Gegenübers förmlich mitgezogen, fühlen uns womöglich hilflos und geraten in ein Oben-unten-Gefälle („die/der Arme…“). Psychologisch ähnelt das dem Zustand empathischer Überforderung: Wir resonieren so stark mit dem Schmerz, dass unser eigenes Stress- und Schmerzsystem anspringt – der Raum kollabiert, wir versinken im Mitleid.

Selbstmitleid

Im Selbstmitleid bedauern wir uns, fühlen uns als „die Arme“ oder „der Arme“, empfinden vieles als ungerecht und neigen dazu, unsere Geschichten wieder und wieder zu erzählen. Unter diesem Jammern liegt immer ein echter Schmerz. Doch statt diesem Schmerz liebevoll und mitfühlend Raum zu geben, versinken wir darin und werden eins mit ihm.

Wie oben schon erwähnt: Selbstmitleid und Opferhaltung dienen als Schutz. Sie überlagern den tieferliegenden Schmerz des tatsächlichen Opferseins. Und wirkliche Opfer sind Kinder (waren auch wir als Kinder) – denn sie sind abhängig von Bezugspersonen. Wenn wir als Erwachsene oft in einer Opferhaltung verharren, lohnt es sich hinzuschauen: Welcher innere Anteil, welches innere Kind trägt noch alte Verletzungen, Hilflosigkeit und Ohnmacht? Diesem Anteil gilt es mit Selbstmitgefühl zu begegnen.

Hinter dem Jammern liegt immer ein echter Schmerz.

Definition Mitgefühl

Mitgefühl ist eine zugewandte, warme Präsenz mit Leiden, Schmerz oder Verzweiflung – bei gleichzeitiger innerer Stabilität. Wir bleiben im Kontakt mit uns selbst und dem anderen, nehmen das Leid achtsam wahr und spüren einen natürlichen Impuls, Linderung zu unterstützen (auch durch Selbstmitgefühl uns selbst gegenüber) – ohne im Schmerz unterzugehen, ohne ins Drama zu fallen. Mitgefühl kann still und fast nüchtern wirken, doch es trägt immer eine Grundstimmung von Wärme und offener Herzensweite. Forschung zeigt, dass Mitgefühl unsere Netzwerke für Zugewandtheit aktiviert und zugewandtes Handeln fördert.

Mitgefühl bedeutet: ganz da sein, ohne sich zu verlieren.

Selbstmitgefühl

Selbstmitgefühl erwächst aus einem inneren Beziehungsraum. Wir nehmen bewusst wahr, dass in uns ein Schmerz, eine Angst oder ein blockierender Glaubenssatz da ist. Statt eins zu werden mit dem Gefühl, können wir lernen, aus der Position eines Herzens-Beobachters zu schauen. Selbst wenn unser Herz weint, wenn wir uns erlauben zu fühlen, was bestimmte Erfahrungen ausgelöst haben, bleiben wir aufrecht – ein Ankerpunkt für unser Inneres.

Selbstmitgefühl ist der Schlüssel zur Selbstakzeptanz.

Wir können sogar Selbstmitgefühl für unser Selbstmitleid entwickeln: Dann erkennen wir, dass es einst Gründe dafür gab, warum wir uns bemitleidet oder als Opfer gefühlt haben. Selbstmitgefühl ist das Tor zur Selbstakzeptanz – jener innere Boden, auf dem nachhaltige Veränderung wachsen kann.

Dann versuchen wir nicht, vor uns selbst wegzulaufen, uns zu optimieren, bis wir uns hoffentlich irgendwann mögen, sondern wir lernen schrittweise, uns zu mögen, so wie wir gerade sind. Und dann können Glaubenssätze oder schmerzliche Gefühle liebevoll empfangen werden und sich lösen.

Selbstmitgefühl ist selbstermächtigend, während uns Selbstmitleid schwächt. Das Gleiche gilt für Mitgefühl und Mitleid mit anderen. „Der Arme“ macht den anderen klein – und niemand möchte so gesehen werden. Viele Menschen hören irgendwann auf, von ihren schmerzlichen Erfahrungen zu sprechen, weil sie daraufhin oft Mitleid oder gut gemeinten, aber wenig mitfühlenden Rat bekommen.

Trost braucht kein Urteil, sondern Raum.

Trost heißt nicht: „Das wird schon wieder“ oder „Ist doch nicht so schlimm“. Trost, der aus Mitgefühl erwächst, schafft einen Raum, in dem Gefühle da sein dürfen – ohne Lösung, ohne sofort glücklich sein zu müssen. Mitgefühl ist ein Seinszustand, in dem es nicht zuerst ums Tun geht.

Vielleicht versinnbildlichen das die Worte einer Klientin von mir, Nina Kunz, die kürzlich nach einer intensiven Zeit, in der der Schmerz alter Wunden bewusster ans Licht kam, sagte: „Es war anstrengend, aber ich hatte mehrere Momente, in denen ich auf einmal so etwas wie eine Klarheit gespürt habe: Ich muss nochmal ganz viel halten und mich halten.“ So wie sie es sagte, konnte ich ihr aufrechtes Selbstmitgefühl, ihr liebevolles Verantwortungsgefühl gegenüber ihren Schmerzen fühlen.

Sie sagte dann weiter: „(...) Und dann habe ich mir bewusster gemacht, für was die Schmerzen (physisch und psychisch, Anm. von mir) eigentlich gerade noch da sind, welchen Raum sie noch brauchen.“

Weiter sagte sie zusammengefasst, dass ihr klar wurde, dass all ihre Gefühle, ihr Schmerz, ihre Empörung in Reaktion auf das, was sie als Baby, Kind und Jugendliche erlebt hat, nie sein durften, nicht benannt werden durften, sodass sie all das verdrängen musste, um sich anzupassen. Und genau das tut weh: unseren authentischen Schmerz zu verdrängen, das „Nicht-Gesehen-Werden, Nicht-Sein-zu-Dürfen.“

Wenn wir psychischen oder auch körperlichen Schmerz von Herzen aus und mit Selbstmitgefühl bezeugen, in all seiner Schrecklichkeit und gleichzeitig einem in sich ruhenden „Ja, so war das!“, dann können sich angestaute, oft verdrängte Gefühle lösen, in den Fluss kommen und sich schlussendlich integrieren. So werden wir freier in unseren Reaktionen auf das Leben, wir bekommen mehr Raum für die Flügel unseres Potenzials und finden einen Platz der Selbsterlaubnis für unser authentisches Sein.

Mit allem, was da ist, sein dürfen – ohne richtig oder falsch. Selbstmitgefühl öffnet den Raum für authentisches Sein.

Hier nochmal die Worte von Nina über ihre Selbstakzeptanz, die aus ihrem Selbstmitgefühl erwuchs: Sie fühlte: „Du darfst einfach sein. Du darfst dich trauen, du darfst dich ausprobieren. All das, was du gerade fühlst, ist nicht falsch, verkehrt, schwach oder sonst irgendwas. Das gehört zu dir, das bist du!“

Ist es einfach, uns der Vergangenheit mit Selbstakzeptanz und Mitgefühl zuzuwenden, geht das ratzfatz und ohne Umschweife? Natürlich nicht. Es ist ein Prozess, aber ein unendlich kostbarer. Aus meiner Warte ist das auch ein Prozess, den wir immer weiter leben. Doch mit der Zeit leiden wir nicht mehr darunter, wenn sich Unverarbeitetes zeigt, sondern sehen das Licht und die Chance in allem, was aufkommt.

Hier nochmal in Ninas Worten, der ich übrigens von Herzen dafür danke, dass sie bereit ist, diese Worte hier zu teilen: „(...) mit den ganzen Erfahrungen, die ich habe, das ist gerade für mich eher wie eine Schatztruhe, das ist keine Scheiße mehr, (...) ich darf die (= Schatztruhe) aufmachen und manche Sachen sind mal lauter, manche sind mal leiser, (...) aber letztlich darf ich mit allem, was da ist, sein, ich muss nichts (...) es gibt kein richtig und es gibt kein falsch.“

Wege zu Selbstmitgefühl und Mitgefühl

Fange an zu beobachten, wo du vielleicht in Mitleid versinkst, wo du dich selbst bemitleidest. Nimm es erstmal einfach wahr, ohne irgendetwas verändern zu müssen. Und wie beziehst du dich auf das Leid, den Schmerz anderer? Um den Raum für Mitgefühl zu unterstützen, sind HerzMeditationen unglaublich hilfreich. Sie erlauben es dir, dich mit deinem Herzen zu verbinden und dort warme, wohlwollende Gefühle zu aktivieren.

Wenn du das für dich ausprobieren magst, kannst du dir gerne meinen kleinen kostenfreien Kurs "Dein Herz ist dein Superheld 1.0" holen, indem du einfach hier klickst.

Oder schau dir diese kleine Anleitung einer HerzMeditation auf YouTube an: hier geht's lang.

Führe Tagebuch – auch über die Momente, in denen du dich selbst nicht magst, in denen du vielleicht gejammert hast oder zu streng mit dir oder anderen warst. Und dann schau: Was hat das Jammern, was hat die Strenge ausgelöst? Denn es gibt immer einen Auslöser. Diese Muster werden nur aktiviert, wenn etwas in uns sich bedroht fühlt oder wenn etwas weh tut. Sobald du mitbekommst, was unter bestimmten Verhaltensweisen liegt, wirst du fast automatisch in mehr Selbstmitgefühl kommen können.

Du bist du – du hast deine bewussten oder unbewussten Themen, und du bist es immer wert hinzuschauen, mit dir in Beziehung zu gehen. Selbstmitgefühl hat immer eine Berechtigung – denn es ist Balsam für deine Seele!